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Mein Dackel und ich - Dackel-Blog

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Mein Dackel und ich

Dackelblog
Wie alles begann...
Warum es ausgerechnet Dackel waren, die mein Herz erobert haben, kann ich nicht mit letzter Sicherheit sagen. Meine beste Freundin und ich kannten alle Hunde in der Nachbarschaft, und wir wünschten uns nichts sehnlicher als einen Collie, genauer gesagt, einen Lassie, klug, schön und mutig. Leider liessen sich unsere Eltern nicht erweichen, und sie behaupteten mit grossen Unschuldsaugen, mit dem Plüschcollie hätten sie unseren Wunsch doch erfüllt. Der Wunsch nach einem eigenen Hund liess mich jedoch nicht mehr los. Lange Jahre später, als ich schon lange verheiratet war, habe ich meinen Mann so lange genervt und bearbeitet, bis er zugestimmt hat, einen Hund anzuschaffen. Einen *richtigen* Hund, einen Dackel, natürlich! Als Kind hatte ich eine Freundin, deren Vater Jäger war und der nebst einem grossen Jagdhund auch einen Dackel führte. Dieser Dackel war ein toller Spielkamerad und ein wunderbar liebenswertes Wesen. So hat dieser Rauhaardackel meine Liebe zu Dackeln entfacht. Weitaus schöner allerdings war der rote Langhaardackel eines anderen Spielkameraden, auch wenn der vom Wesen her eher, sagen wir, ein wenig speziell war. Wenn ich es mir recht überlege, dann waren eigentlich sämtliche Langhaardackel, die ich in meiner Jugendzeit kennengelernt habe, keine leuchtenden Beispiele für Freundlichkeit und Intelligenz. (Es waren genau zwei Langhaardackel, die ich kannte.) Langhaardackel Nr. 2, der Nachbarn gehörte, war unglaublich mutig und hat es mit jedem Gegner aufgenommen. Dumm nur, dass ein Auto stärker ist als jeder Dackel. Er hat es beide Male überlebt. Eigentlich seltsam, dass ich den Glauben an den Langhaardackel trotzdem nicht verloren habe. Jedenfalls zog 2008 unser Esra bei uns ein. (Und ja, Esra ist ein Rüde und somit ein Er. Der Name Esra geistert in vielen Sprachen und Kulturen herum, ist in diesem Fall aber aus dem Hebräischen gewählt worden und damit männlich. Lieber Tierarzt, es ist sehr amüsant, wenn Sie in einem Untersuchungsbericht regelmässig von „sie“ reden, nur um dann festzustellen, dass die Prostata unauffällig ist!)

Esra war ein Glücksgriff für Anfänger in der Hundehaltung. Er war (bei aller dackeltypischen Eigenständigkeit) gut zu erziehen und hatte immer ein souveränes und stabiles Wesen. Alle paar Wochen musste ich ihn daran erinnern, dass Schnappen kein akzeptables Verhalten ist und auch nicht zum Ziel führt, ansonsten hatten wir ein sehr ruhiges und inniges Familienleben. Hm, ich erinnere mich daran, dass wir durchaus unsere Meinungsverschiedenheiten hatten und ich auch ein paar Anekdoten zu erzählen habe. Letztlich verblassen die aber vor dem, was wir später mit unserem „Zweitgeborenen“, unserem Janis, erlebt haben.
Teil 2: Die Familie wächst
Als unser Esra gut ein Jahr alt war, haben mein Mann und ich seine Züchterin besucht. Ich liebe Welpen, und ich wollte die Kleinen gerne besuchen. Ein Welpe stach mir sofort ins Auge, weil er im Welpenauslauf stand wie ein kleiner König und ganz in sich zu ruhen schien. Ich lockte ihn ans Gitter, und er beschnupperte mich würdevoll. Drei Wochen später waren wir noch einmal zu Besuch, und ich war ganz erstaunt zu hören, dass dieser kleine Kerl noch keine neue Familie gefunden hatte. Und so sagte ich halb im Spass, halb im Ernst, dass ich ihn drei Wochen lang zur Pflege nehmen könne, weil meine Fortbildung erst danach wieder anfing. Und so fand ich mich wenige Augenblicke später mit einem 18 Wochen alten Junghund auf dem Schoss und einem konsternierten Esra im Auto wieder.

Janis war ein Kaliber! Zuhause ein anhänglicher und verschmuster Hund, der uns mit Anbetung und Liebe in den Augen auf Schritt und Tritt folgte. Wenn wir uns mit Esra beschäftigten, schaute er uns an, als ob ihm das Herz brechen würde, und wenn er ein Menschenkind gewesen wäre, wären ihm die Tränen in Strömen geflossen. Es war für ihn unerträglich, wenn nicht er, sondern Esra Aufmerksamkeit bekam.

Und draussen war er eine angstaggressive Bestie, die auf jeden Hund losging. Wir hatten das Gefühl, dass er uns in diesen Momenten nicht einmal mehr wahrnahm. Ablenken funktionierte nicht, auch nicht im Vorfeld, denn sobald der andere Hund näherkam, kam Janis in seinen Tunnel, in dem nur noch der andere Hund im Fokus stand.

Trotz allem spürten wir, dass Janis ein toller Hund war, und wir entschlossen uns, ihn nach dem Ende meiner Fortbildung endgültig in unsere Familie zu holen. Wir haben uns ganz bewusst für einen Hund entschieden, von dem wir wussten, dass er ein grosses Verhaltensproblem hat. Für einen Hund, der zu diesem Zeitpunkt noch keine sechs Monate alt war.
Teil 3: Der Schrecken der Strasse
Janis war unser Weihnachtsgeschenk, das wir uns selbst gemacht haben. (Esra wird es vermutlich als Weihnachtsfluch betrachtet haben, aber damit musste er leben.) Und sehr schnell zeigte sich, dass Janis´ Verhalten sich nicht verbessert hatte. Ganz im Gegenteil! Er war nun acht Monate alt, und seine Attacken auf andere Hunde waren noch heftiger als vorher. Wir waren hilflos und überfordert. Wir dachten, wir hätten einen hochaggressiven Hund zuhause. Ob an der Leine oder freilaufend, es machte keinen Unterschied. Was habe ich den armen Kerl gemassregelt, wenn er „so dumm getan“ hat! Bis ich einmal im richtigen Moment Janis´ Gesicht gesehen habe, bevor er auf einen anderen Hund losgeschossen ist. Ich sah die Angst in seinem Gesicht, bevor es sich im nächsten Bruchteil der Sekunde in eine aggressive Fratze verwandelte. Und mir ging ein Licht auf! Die ganze Zeit über hatte ich meinen Hund falsch eingeschätzt und ihn falsch behandelt!

Dass ich nun die Ursache seines Verhaltens kannte, half mir aber noch nicht, die richtige Lösung zu finden, wie ich mit diesem Problem umgehen sollte. Wir waren nach wie vor hilflos und überfordert. Janis fühlte sich offensichtlich durch andere Hunde so bedroht, dass er keinen anderen Ausweg sah, als seinerseits zum Angriff überzugehen. Als Janis es im zarten Alter von 10 Monaten schaffte, dass ein ausgewachsener Berner Sennenhund mit eingezogenem Schwanz vor ihm flüchtete, da wussten wir, dass wir nun keine Zeit mehr verlieren durften. Wir selbst waren am Ende unseres Lateins (und ich habe immerhin das Grosse Latinum!), und mit jeder erfolgreichen Attacke, bei der der andere Hund sich zurückzog, bekam Janis die Bestätigung, dass er genau die richtige Strategie gewählt hatte: Die anderen Hunde liessen ihn in Ruhe!

Wenigstens hatten wir das Glück, dass Janis nie zugebissen hat. Er ist auf die anderen Hunde losgegangen und hat neben ihren Kopf geschnappt. Bei dieser äussersten Drohung ist es zum Glück immer geblieben. Ich wundere mich heute noch, dass wir offenbar nie beim Veterinäramt angezeigt wurden!

Die Situation war so schlimm geworden, dass ich Angst hatte, mit diesem Hund auf die Strasse zu gehen. Wenn der nächste Spaziergang fällig war, krampfte sich mein Magen vor Angst zusammen, und mir wurde schlecht. Ich ging nur noch zu Zeiten nach draussen, in denen nur wenige Hundehalter unterwegs waren. Und immer hoffte ich inbrünstig, dass uns niemand mit Hund begegnete. Wenn es zumindest anständige Hundehalter waren, die ihren Hund an die Leine nahmen, wenn sie sahen, dass ich ihnen mit angeleinten Hunden entgegenkam! Aber ich hatte mehr als genug Angstmomente, wenn wieder so ein Idiot seinen Hund weiterhin laufen liess und mir ein „Der tut nichts!“ entgegenbölkte, selbst wenn ich vorher noch „Nehmen Sie den Hund bitte an die Leine!“ gerufen hatte. Gegen Dummheit ist offensichtlich kein Kraut gewachsen. Ist ja schön, wenn Ihr Hund nichts tut, aber meiner tut etwas!

Es war nicht möglich, draussen in irgendeiner Form auf Janis einzuwirken. Er war ausschliesslich auf seine Umgebung fixiert. Es war, als ob wir Menschen oder auch Esra nicht existieren würden. Wir konnten ihn praktisch nicht von der Leine lassen, obwohl er einen gewaltigen Bewegungsdrang hatte.

Nachdem Janis den Berner Sennenhund in die Flucht geschlagen hatte, wandten wir uns an einen Hundetrainer und schilderten ihm die Situation. Und er riet uns, Janis nachzusozialisieren und zu ihm in die Junghundestunde zu kommen.

Es tat mir in der Seele weh, wie unser Janis, mittlerweile fast zwölf Monate alt und damit praktisch erwachsen, Angst vor den vier bis fünf Monate alten Junghunden hatte! Er stand mit eingezogener Rute neben uns auf dem Platz und war mit der sozialen Situation völlig überfordert. Zumindest ist er nie auf die Junghunde losgegangen, sondern hat sich einfach abseits gehalten. Vermutlich hätten wir das schon als Fortschritt verbuchen können.

Zeitgleich habe ich mich an die Arbeit gemacht. Wenn ich auf ein Problem stosse, dann lautet meine Lösungsstrategie, mich in die Sache einzulesen. Ich habe meterweise Bücher gewälzt über Aggression und Angstaggression bei Hunden. Und ich musste feststellen, dass man als Hundehalter mit diesem Problem ziemlich alleingelassen wird. Es gibt kaum einen Hundetrainer, der sich an dieses Problem wirklich heranwagt, und aus den Büchern habe ich nur die Erkenntnis gewonnen, dass ein angstaggressiver Hund den Angriff wählt, weil er keinen anderen Ausweg mehr sieht. Meterweise Bücher, und letztlich so wenig Gehalt: Der Hund sieht keinen anderen Ausweg mehr. Aber wie man als Hundehalter nun damit umgeht, dazu gibt es keine brauchbaren Vorschläge.

Also habe ich meine eigene Lösung gefunden. Wenn mein Hund andere Hunde attackiert, weil er keinen Ausweg mehr sieht, dann muss ich ihm ein Alternativverhalten beibringen: Ich kann auch ausweichen! Und so startete ich das Projekt „Ausweichen“. Sobald Janis in die Leine sprang, um auf einen anderen Hund loszugehen, habe ich auf dem Absatz kehrtgemacht und ihn mitgeschleift. Esra hatte das Pech, ebenfalls mitgeschleift zu werden.
Teil 4: Per aspera ad astra
Nach zwei Wochen habe ich die ersten Erfolge gesehen. Janis zögerte den Bruchteil einer Sekunde, bevor er auf die anderen Hunde losging.

Gleichzeitig setzte ich eine Idee des Hundetrainers um, wie wir Janis frei laufen lassen, ihn aber trotzdem noch ein wenig kontrollieren konnten. Wir hängten seinem Brustgeschirr eine 10 m lange Schleppleine an, an deren Ende wir einen sehr grossen und schweren Kong gebunden hatten. In der Theorie hätte der schwere Kong Janis bremsen sollen. Hat er aber nicht. Zumindest konnten wir meist auf der Schleppleine stehen, wenn uns ein anderer Hund entgegenkam, und wenn Janis durchstartete und lospreschte (was er bei seinem Bewegungsdrang sehr häufig tat), dann blieb der Kong irgendwann einmal irgendwo hängen, und wir konnten Janis einsammeln. Da er ein Brustgeschirr trug, gab es auch keinen Ruck an seinem Hals. Die Schleppleine war also eine praktikable Lösung in einer verzwickten Situation.

Den grossen Bewegungsdrang und die Fähigkeit, kraftvoll loszusprinten, hat Janis übrigens nie verloren. Durch sie ist er bis heute eine Legende des jährlichen Dackelrennens in Rifferswil, und er konnte fünfmal den Titel des Schweizermeisters erringen, was keinem anderen Dackel auch nur annähernd gelungen ist.

Das „Wir machen auf dem Absatz kehrt, sobald du auf andere Hunde losgehst“ trug langsam, aber sicher Früchte. Und irgendwann kam der Tag, an dem uns ein Hund entgegenkam und Janis nicht in die Leine sprang und tobte, sondern einen Bogen schlug und diesem Hund auswich. Er war insgesamt ruhiger geworden, nahm uns Menschen draussen sogar wahr, und wir konnten ihn bereits aus dem Freilauf abrufen. Janis war noch weit entfernt davon, sich „normal“ zu verhalten, aber ein halbes Jahr, nachdem ich unser aus der Not heraus geborenes Training gestartet hatte, war Janis strassentauglich geworden. Ich hatte keine Angst mehr, mit ihm auf die Strasse zu gehen, und ich freute mich sogar auf unsere Spaziergänge.

Jetzt gibt es unter Ihnen, liebe Leser, vielleicht den ein oder anderen Besserwisser, der sich bereits die Finger wundtippt, um mir empört mitzuteilen, wie dilettantisch ich doch meinen armen Hund gequält habe, und ich hätte doch einfach Alternativverhalten XY auf Art AB aufbauen sollen, und überhaupt habe ich alles falsch gemacht.

Lieber Besserwisser, wo waren Sie vor zehn Jahren, als ich völlig überfordert mit einer angstaggressiven Bestie dastand und verzweifelt nach Hilfe gesucht habe? Sie waren nicht da. Hätten Sie vor zehn Jahren schon die Kenntnisse gehabt, um einen solchen Hund trainieren zu können, oder haben Sie diese Kenntnisse erst später erworben? Und, noch viel wichtiger: Können Sie etwas anderes anbieten, als unerwünschtes Verhalten einfach niederzuknüppeln und den Hund zu brechen?
Sein grösstes Abenteuer — Hund begegnet Wolf
Eigentlich dachte ich ja, Janis hätte sein Pensum an Abenteuern im Leben schon längstens aufgebraucht. Ich dachte wirklich, schlimmer könnte es nicht mehr kommen, und von einem Aufzug beinahe ins Jenseits befördert zu werden, ist mehr als genug für ein einziges Dackelleben. Aber so langsam beschleicht mich der Verdacht, dass das Schicksal die Portion Abenteuer, die eigentlich [Esra](https://dackelblog.ch/wie-alles-begann/) zugestanden hätte, einfach so an Janis weitergeschoben hat und er eine doppelte Bürde trägt. Denn das einzige Abenteuer, das Esra jemals erlebt, ist, auf dem Sofa zu liegen und von einem Pudel genervt zu werden. (Ja, Esra lebt noch, aber die Geschichte, warum er nicht mehr bei uns lebt, werden Sie ein anderes Mal erfahren.)

Jedenfalls war ich der Meinung, dass Janis nach seinem schweren Unfall mit dem Aufzug, der ihn beinahe das Leben gekostet hat, nun wirklich mehr als sein Soll an Abenteuern zu tragen hatte und den Rest seines Lebens in relativer Ruhe verbringen dürfte. Aber da hatte ich mich gründlich getäuscht.

Ein Weihnachtsspaziergang

Es war der 1. Weihnachtstag 2019, und wir machten im um Grossmutter erweiterten Rudel einen langen Weihnachtsspaziergang durch die norddeutschen Wälder. Janis liess ich freilaufen, und die ganze lange Stunde lang lief er immer ein paar Schritte vor mir her, obwohl der ganze Wald nach Wildspuren duften musste. Janis zeigte sich von seiner besten Seite – bis wir in die Nähe der ersten Häuser des Ortes kamen.

Plötzlich blieb er stehen, schaute nach links in den Wald und schoss los. Meine Reaktion und Wortwahl erspare ich dem empfindsamen Gemüt wohlerzogener Leser. «Mistvieh» war noch der harmloseste Ausdruck. Weil auch nach längerem Lauschen nichts von Janis zu hören, geschweige denn zu sehen war, machte ich mich auf den Weg und ging ihm hinterher. In das schrecklich grosse Waldstück von vielleicht 60 m Breite, das zwischen der Strasse und dem Fluss liegt und nach gut 250 m am Gartenzaun des ersten Hauses endet. In meinem Geiste malte ich mir aus, wie ich resolutes Frauchen meinen demütig dreinblickenden Dackel in den Senkel stellte für seine Missetat, ohne Erlaubnis abgezischt zu sein und mein Rufen ignoriert zu haben. Nachdem es minutenlang still gewesen war, hörte ich in der Ferne ein hysterisches Bellen. Hat der eine Katze entdeckt? Na warte, du [zensiert]! Und so machte ich mich auf in Richtung des Bellens, das vom Ende des Waldstücks zu mir herüberschallte.

Fang‘ den Dackel!

Wie ein wütendes Rhinozeros stampfte ich durch den Wald, während meine Familie – der menschliche Teil! – mich von der Strasse aus beobachtete und auf gleicher Höhe mitging.

Alte Bilder wurden wach. Dort, an der Stelle, haben meine Freundin und ich immer gespielt. Und dort hinten war die Pferdeweide von Bauer Müller-Schulze. Der Weg wurde zu einer Reise in die Vergangenheit, während ich unbeirrt zu meinem kläffenden Dackel der Gegenwart stampfte.

Irgendwann erblickte ich Janis, wie er an einem Baum hin- und herrannte und dabei kläffte. («Hat er ein Eichhörnchen den Baum hochgejagt?») Ich rief Janis, und er rannte von mir weg, in Richtung der Strasse («Sauhund!»), schlug einen Bogen und lief zurück in die Richtung, aus der ich gekommen war, die Nase tief auf meiner Spur. Bald merkte Janis, dass die Spur immer älter wurde, drehte um und kam zu mir. Wie er aussah! Sein Brustgeschirr hing völlig schief, und er war dreckig. Und ich wunderte mich, dass er sich von einem Jagdabenteuer so bereitwillig abrufen liess und freiwillig zu mir kam. Normalerweise muss ich mich mit einem Hechtsprung auf ihn werfen, denn wer lässt sich schon von einer sauertöpfischen Chefin freiwillig den Jagdspass verderben?

Blessuren

So ging ich mit dem angeleinten Janis (und wieder richtig angelegtem Brustgeschirr) hoch zur Strasse, wo meine Familie auf uns wartete. Als wir uns über Janis’ Abenteuer unterhielten, sagte mein Mann beiläufig, er habe noch ein graues Tier über die Strasse laufen und im Wald auf der anderen Seite verschwinden sehen. Ein Wildschwein? Nein, längst nicht so massig. Aber was dann? Ein Reh? (Obwohl Rehe ja eigentlich braun sind.) Nein, nicht so hochbeinig. Ein Fuchs? (Die sind rot…) Nein, grösser. Wir rätselten weiter. Mein Mann beharrte darauf, dass er das Tier nicht genau beschreiben könne, weil er es nur kurz gesehen habe, als er den Kopf gedreht hatte, und da sei es schon halb über die Strasse gewesen. Er habe noch in den Wald geschaut, aber es war weder etwas zu hören noch zu sehen.

Egal, wir hatten Janis, und wir würden trotz der Verzögerung noch rechtzeitig zuhause sein, bevor der Besuch kam. So machten wir uns auf den Heimweg. Nach wenigen Metern humpelte Janis auf zwei Beinen und konnte nicht mehr weiterlaufen. Und ich habe ihn nach Hause getragen, obwohl meine Arme immer länger wurden und ich am Schluss eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Orang-Utan aufwies. Was tut man nicht alles für sein geliebtes Tier!

Todesangst

Zuhause ist Janis durchgedreht. Wie ein Irrer rannte er mit aufgerissenen Augen im Kreis herum, blieb immer wieder stehen und knabberte an den Pfoten, buddelte im Teppich, als ob er in Rekordzeit einen Bau graben wollte, oder wälzte sich. Das ganze immer wieder, über Minuten hinweg, immer in der gleichen Reihenfolge. Was die Familie und ich auch taten, Janis war nicht zu beruhigen. So haben wir notgedrungen den Dingen ihren Lauf gelassen. Irgendwann hatte Janis seinen Stress abreagiert und sich unter das Sofa zurückgezogen, so weit nach hinten, wie es nur möglich war. Auch das war völlig untypisch für ihn, denn normalerweise liegt er unter dem Couchtisch, in der Mitte des Geschehens.

Was auch immer er im Wald erlebt hatte, es hatte ihm eine Todesangst eingejagt.

Des Rätsels Lösung

Am Abend war Janis’ Abenteuer noch immer Gesprächsthema in der Familie, und wir rätselten weiter, was für ein Tier mein Mann gesehen hatte. Einen Marderhund vielleicht? Wir haben extra Fotos gegooglet, aber nein, einen Marderhund konnte mein Mann definitiv ausschliessen. Irgendwann meinte er beiläufig, er habe sich bei dem Tier nicht so viel gedacht, das könnte ja irgendein Hund aus der Nachbarschaft gewesen sein, da achte er doch nicht weiter drauf.

«Du hast ein graues Tier gesehen, das dich an einen Hund erinnert hat.»

«Das kann ich nicht sagen, ich habe es ja nur ganz kurz gesehen und eigentlich auf dich geachtet!»

«Aber deine erste Assoziation war offensichtlich «Hund»!»

«Das kann ich nicht sagen, weil (usw.)»

Hund begegnet Wolf

Damit bestätigte sich, was vorher schon jemand vermutet hatte: Janis war einem Wolf begegnet. Als wir ein paar Wochen später in einem Tierpark waren und ein Wolf am Zaun vorbeitrabte, war mein Mann sich absolut sicher.

Wir werden niemals wissen, wie sich der Zusammenstoss genau abgespielt hat. Vermutlich hat Janis einen unbekannten, vielleicht auch einen attraktiven Geruch in die Nase bekommen und ist deshalb in das Waldstück gerannt, um der Witterung zu folgen. Fakt ist, dass er minutenlang um sein Leben gekämpft und es tatsächlich geschafft hat, sich den Wolf vom Leib zu halten. Er war bis auf die beiden «vertrampelten» Pfoten unverletzt. Fakt ist auch, dass man dem Wolf keinen Vorwurf machen kann. Er war zwar in der Nähe der Siedlung, aber ganz klar im Wald, und wenn Janis nicht in den Wald gerannt wäre, hätten wir den Wolf niemals bemerkt. Der Wolf hat die Flucht angetreten, als ich, der Mensch, in seine Nähe gekommen bin. Und auch die Grossmutter, die wir dabeihatten, wurde nicht gefressen. Er war keine Bestie, sondern ein Tier, das ganz natürliches Verhalten gezeigt hat.

Im Wolfsgebiet an die Leine!

Für mich bleibt die bittere Lehre, meinen Hund im Wolfsgebiet niemals mehr freilaufen zu lassen. Nicht weil ich glaube, dass die gefährlichen Wölfe sich aus dem Dickicht stürzen, um den armen hilflosen Dackel zu fressen, sondern weil ich aus Erfahrung gelernt habe, dass unser Hansdampf-in-allen-Gassen nicht aus Erfahrung lernt und sich beim nächsten Mal, wenn ihm eine interessante Witterung in die Nase steigt, wieder ohne nachzudenken Hals über Kopf in eine gefährliche Situation stürzen würde.
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